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Umsetzung ASV-Rheuma
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Editorial
Bürgerversicherung Bedingung für neue GroKo?
Untätigkeit kann dem geschäftsführenden Gesundheitsminister Gröhe nicht vorgeworfen werden. Mehr als 30 Gesetze und Verordnungen wurden in der abgelaufenen Legislaturperiode im Bereich der Gesundheits- und Pflegepolitik verabschiedet. Doch nicht alle Gesetze werden von Dauer sein bzw. nachhaltige Wirkung zeigen.Spuren hinterlassen sicherlich die drei Pflegestärkungsgesetze, die allerdings auch mit einer Beitragserhöhung finanziert werden. Auch die verstärkte Qualitätsorientierung in der stationären und ambulant-ärztlichen Versorgung weist in die richtige Richtung. Mit dem Antikorruptionsgesetz und der Neuregelung der ASV beginnen die Gesetze mit zweifelhaftem Erfolg. Vor allem bei der ASV wechseln sich Licht und Schatten ab. Wenig Erfolg ist von den Terminvergabestellen sowie der Intensivierung der Planung in der stationären und ambulanten Versorgung zu erwarten. Ungelöst bleiben die ambulante Notfallversorgung, die Handhabung eines Arztinformationssystems, die Zulassung von Videokonsultationen sowie die Knappheit an Pflegekräften. Es mutet geradezu paradox an, angesichts der Personalknappheit, Personaluntergrenzen in der Krankenhauspflege einführen zu wollen. Und damit wird deutlich, dass den Aktivitäten von Minister Gröhe eine ordnungspolitische Ausrichtung fehlt. Die vielen Gesetze reagieren jeweils auf aktuelle Schwachstellen ohne eine ordnungspolitische Konzeption erkennen zu lassen.
Auch im Wahlkampf spielte die Gesundheitspolitik nur eine untergeordnete Rolle. Während die Linksparteien weiterhin das Konzept einer Bürgerversicherung vertraten, wollten die Unionsparteien keine weitergehende Änderung. Mit dem Scheitern von Jamaika ist die Union nun auf eine große Koalition mit der SPD angewiesen, sofern sie nicht das Risiko einer Minderheitsregierung oder von Neuwahlen eingehen will. Die SPD ihrerseits aber macht die Bürgerversicherung zu einer Bedingung für ein Eintreten in eine erneute große Koalition. Dabei ist sicherlich nicht zu erwarten, dass eine Bürgerversicherung auf einen Schlag eingeführt wird, da hierzu die rechtlichen und organisatorischen Hürden zu groß sind. Doch lässt sich absehen, dass einige Schritte in die Richtung einer Bürgerversicherung von der SPD letztlich eingefordert werden und die Union nur wenig Widerstand leisten dürfte.
An erster Stelle wird die paritätische Beitragsgestaltung stehen. Dabei muss nicht der Zusatzbeitrag abgeschafft werden, sondern die Arbeitgeber müssten sich an diesem ebenfalls paritätisch beteiligen. Eine solche Lösung kann von der Union relativ leicht akzeptiert werden, zumal die Arbeitsmarktlage einen solchen Schritt zulässt. Ein zweiter Schritt dürfte die Angleichung der Gebührenordnungen für gesetzlich Versicherte und Privatversicherte sein. Die Vorschläge laufen darauf hinaus, dass eine einheitliche Leistungsbeschreibung für die EBM- und die GOÄ-Leistungen geschaffen wird. Für alle gesetzlich Versicherten gilt dann der einfache Gebührensatz, während für Privatversicherte ein höherer Gebührensatz, ähnlich der heutigen GOÄ berechnet werden darf. Die Privatversicherungen können sich entscheiden, ob sie auch für gesetzlich Versicherte eine Grundversicherung oder nur eine Zusatzversicherung anbieten wollen. Auch hier kann von der Union Zustimmung erwartet werden, solange nicht die Existenz der PKV gefährdet ist. In dieser Frage könnte selbst das Lager der PKV gespalten reagieren. Ein für viele Gruppen angenehmer Nebeneffekt wäre, dass die Problematik einer Neuordnung der GOÄ sich damit auflösen würde. Betroffen sind nicht alle Arztgruppen gleichermaßen. Für die Allgemeinärzte in ländlichen Regionen ergeben sich kaum größere Einkommenseinbußen. Getroffen werden vor allem Fachärzte in Ballungsräumen, in denen viele Privatversicherte leben. Auch für die Krankenhäuser halten sich die Umsatzverluste in Grenzen. Ein dritter Schritt in Richtung Bürgerversicherung wird von der SPD dahingehend gefordert, dass alle Bürger, also auch Selbständige und Beamte generell in die GKV eingegliedert werden. An diesem Punkt dürfte die Union nachhaltigen Widerstand leisten. Insbesondere ein Wegfall der Beihilfe für Beamte wird für Grundgesetzwidrig gehalten.
Aus der Sicht der Gegner einer Bürgerversicherung wäre eine Minderheitsregierung der Union zu bevorzugen, da dann aufgrund der jetzigen Zusammensetzung des Bundestages eine Bürgerversicherung nicht durchsetzbar wäre. Doch sieht es nach dem derzeitigen Stand der Diskussion eher danach aus, dass der Union eine große Koalition das Opfer einer Bürgerversicherung Wert ist.
Univ.-Prof. Dr. rer. pol. Günter Neubauer
IfG Institut für Gesundheitsökonomik, München